SchülerInnen der Gedenken-AG werden Zweitzeugen

Zweitzeugen e.V. befähigt junge Menschen durch das Weitererzählen der Erlebnisse von Überlebenden des Holocaust, selbst zu zweiten ZeugInnen, zu Zweitzeugen zu werden. Die AG – Gedenken hat an einem Zweitzeugenworkshop teilgenommen:

Heute haben wir Erna de Vries kennengelernt, ihr seht hier ein Foto von ihr, das allerdings schon einige Jahre alt ist, denn Erna ist 2021 gestorben. Daher konnte sie uns ihre Geschichte leider nicht mehr selbst erzählen.

Warum wir uns für sie interessieren?

Erna hat den Holocaust (Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten) überlebt.

Wie wir von ihr erfahren haben?

Uns haben Zweitzeugen von ihr erzählt. Zweitzeugen sind Menschen, die sich zum einen über Interviews, Begegnungen und zum Teil auch Freundschaft mit der Geschichte anderer Menschen beschäftigen, um diese weiter zu erzählen, wenn diese es selbst nicht mehr können.

Warum das wichtig ist?

Weil diese Geschichten nicht vergessen werden dürfen, damit niemals wieder Politiker auf die Idee kommen Menschen wegen ihrer Religion, ihres Aussehens, ihrer Herkunft, Behinderungen, ihrer politischen Einstellung, ihres Geschlechtes oder ihrer Sexualität zu diskriminieren, zu verfolgen oder, wie es die Nazis gemacht haben, zu ermorden. Wir wollen der Opfer des Nationalsozialismus gedenken.

Unser Tag mit den Zweitzeugen

Zunächst haben wir uns mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Wir haben gelernt, dass die Nazis die Juden über unterschiedlichste Maßnahmen diskriminiert haben. So haben wir unseren Tag mit dem eines jüdischen Menschen damals verglichen, nachdem die antijüdischen Gesetze eingeführt wurden. Wir haben erfahren, dass man als Jude einfach nichts mehr machen konnte, z.B. arbeiten wo man wollte, leben wo man wollte, Haustiere besitzen, nichtjüdische Freund*innen haben, ins Kino oder Schwimmbad gehen usw.

Dann haben wir von Erna de Vries gehört.

Nachdem wir Ernas Geschichte gehört haben, untermalt mit Fotos, Tonbandaufnahmen und Zeichnungen, haben wir Ernas Lebensweg mit unseren Eindrücken vervollständigt.

Viele von uns hat die Abschiedsszene traurig gemacht, andere waren beeindruckt, dass sie von Freundinnen dazu gebracht wurde auf dem Todesmarsch nicht aufzugeben. Mich hat besonders bewegt, dass Erna zusammen mit ihrem Mann (ebenfalls ein Überlebender) noch lange Zeit später, jeden Abend, gemeinsam weinen musste. Dann haben wir uns in Gruppen damit beschäftigt, wie man heute mit dem Thema Holocaust und Nationalsozialismus umgehen sollte. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber einig waren wir uns darin, dass man mit dem Thema sehr sensibel umgehen muss, mit den Menschen im Gespräch bleiben sollte und so etwas niemals wieder passieren darf.

Ernas Geschichte

Sie ist 1923 geboren worden. Ihr Vater war kein Jude, sondern protestantisch, ihre Mutter war Jüdin. Religion selbst hat für die Familie keine Rolle gespielt, sie feierten sowohl die christlichen, als auch die wichtigen jüdischen Feste. Erna Vater starb, als sie sieben Jahre alt war. Sie war mit ihrer Mutter allein.

Mit der Machtergreifung fing das Leid für Erna an, so durften ihre Freundinnen nicht mehr mit ihr spielen, in der Schule wurde sie drangsaliert, so dass ihre Noten schlechter wurden und sie sich ihren Traum, Ärztin zu werden nicht erfüllen konnte. Während der Progromnacht wurde ihre Wohnung zerstört. Bereits zu diesem Zeitpunkt musste Erna erfahren, dass es Menschen gab, die mitmachten und welche die halfen, wenn auch heimlich.

1943 wurde Ernas Mutter nach Auschwitz deportiert, Erna wollte sie nicht allein gehen lassen und ging mit, obwohl sie nicht musste und wusste, was Auschwitz bedeutete, sie wusste, dass Auschwitz ein Vernichtungslager war. In Auschwitz wurden beide zunächst zur Zwangsarbeit gezwungen, die Arbeit, die sie verrichten mussten war, dass sie die Asche der ermordeten Menschen in einem nahe gelegenen See verteilen mussten. Erna war den ganzen Tag, bei jedem Wetter im kalten Wasser, davon wurde sie krank. Man selektierte sie erneut und sie dachte, dass man sie nun in den Gaskammern ermorden würde. Aber sie hatte Glück, sie wurde, weil sie nach Nazidenken eine Halbjüdin war, in ein anderes KZ , nach Ravensbrück, gebracht und musste dort ebenfalls Zwangsarbeit verrichten.

Erna konnte sich von ihrer Mutter verabschieden, beide wussten zu diesem Zeitpunkt, dass sie sich nicht wieder sehen würden. So war es auch. Ihre Mutter starb wenige Wochen später. Ob sie ins Gas kam, erschlagen oder erschossen wurde oder an Entkräftung starb, konnte Erna nie herausfinden. Aber sie erinnerte sich bis zum Schluss an die Worte ihrer Mutter:

„Du wirst überleben und dann wirst du erzählen, was man mit uns gemacht hat.“

Erna überlebte nicht nur das KZ, sondern auch den anschließenden Todesmarsch. Befreit wurde sie von den Amerikanern. Sie blieb bis zu ihrem Tod in Deutschland, heiratete und bekam drei Kinder. Sie begann ihre Geschichte zu erzählen, in Schulen, im Fernsehen und den Zweitzeugen.

Wenn ihr Ernas Geschichte genauer kennenlernen wollt, könnt ihr dazu hier ein Video sehen.

Wenn ihr Ernas Geschichte lesen wollt, dann hier, dort findet ihr noch mehr Berichte und könnt auch Zweitzeuge werden.

Sonja Klamer
Quelle (Bilder und Geschichte): https://werde-zweitzeuge.de/erna-de-vries/ernas-auftrag